Interview mit Alexander Roose, Head of Equities und Co-Lead PM der Strategie DECALIA Sustainable
• Die Eigenschaften von Wasserstoff
• Der Stellenwert von Wasserstoff im Energiesektor
• Die Marktentwicklung bis 2050
• Die Investitionsgelegenheiten
In dieser ersten Ökoserie geht es um das erhebliche ungenutzte Potenzial von Wasserstoff. Schon vor mehr als fünf Jahrzehnten machte Wasserstoff Schlagzeilen, als er die Apollo-Besatzung auf den Mond brachte. Endlich sind zwei Katalysatoren vorhanden, welche die Einführung von Wasserstoff in verschiedenen – neuen – Endmärkten vorantreiben: Erstens die Dringlichkeit in der EU, die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu verringern. Zweitens die generationenübergreifende Herausforderung, unseren Planeten zu dekarbonisieren. So sieht beispielsweise die kürzlich angekündigte Repower-Politik der EU eine Steigerung des Wasserstoffverbrauchs um mehr als 20 Millionen Tonnen vor. Trotz seiner vielversprechenden Zukunft ist eine eingehende Analyse des Unterthemas Wasserstoff – als Teil des globalen Themas Ökologie – und seiner Wertschöpfungskette erforderlich, um als Investor davon zu profitieren. Die Vermeidung von Fallstricken und ein selektives Vorgehen sind der Schlüssel, der oft zu Investitionsmöglichkeiten führt, die nicht auf dem Radar erscheinen.
Inwiefern weist Wasserstoff energetisch interessante Eigenschaften auf?
Wasserstoff ist das leichteste und am häufigsten vorkommende atomare Element im Universum. Die aussergewöhnliche Energie, die die Sonne erzeugt, stammt aus dem Fusionsprozess der darin enthaltenen Wasserstoffkerne. Dieses Beispiel reicht aus, um die energetischen Eigenschaften von Wasserstoff aufzuzeigen. Sie sind immens. Bei gleicher Masse konzentriert er doppelt so viel Energie wie Erdgas und dreimal so viel wie Erdöl.
Die grösste Attraktivität von Wasserstoff liegt heute jedoch in dem Beitrag, den man von ihm im Kampf gegen die Klimaerwärmung erwartet. Die attraktivste Eigenschaft von Wasserstoff ist, dass er im Gegensatz zu Kohlenwasserstoffen bei der Verbrennung kein Kohlendioxid freisetzt. Aus diesem Grund wird er bei der Energiewende, die derzeit Gestalt annimmt, eine entscheidende Rolle spielen.
Welche Faktoren begünstigen Ihrer Meinung nach den Aufstieg des Wasserstoffs im Energiesektor?
Es gibt mehrere Katalysatoren oder, wenn man so will, mehrere Notfallsituationen. Wasserstoff geht heute mit einer Vielzahl von Möglichkeiten einher. Er kann als Treibstoff zur Dekarbonisierung mehrerer Schwerindustrien, als Heizmethode für Wohnhäuser oder als Lösung zur Speicherung von überschüssigem erneuerbarem Strom aus Solar- oder Windkraftanlagen eingesetzt werden.
Damit diese Möglichkeiten genutzt werden können, müssen die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen für die Wasserstofftechnologie stimmen. Und genau das ist heute der Fall. Die Wasserstofftechnologie befindet sich in einer sehr günstigen Dynamik.
Langfristig gesehen sind es vor allem die proaktiven politischen Massnahmen, die die Europäische Union vor kurzem ergriffen hat. Zwischen dem Green Deal, dem Post-Covid-Konjunkturprogramm, das sich auf den Klimaschutz konzentriert, und dem kürzlich verabschiedeten REPower, um sich aus dem russischen Korsett zu befreien, hat sich die Europäische Union klar für eine saubere, erneuerbare Energieversorgung entschieden. Einige Zahlen genügen, um die europäischen Ambitionen in diesem Bereich zu veranschaulichen.
Bis 2050 möchte die EU den Anteil von Wasserstoff an der Energieerzeugung von 2 auf 14 Prozent erhöhen und hat es geschafft, die dafür notwendigen Budgets bereitzustellen. Sie sehen Mittelzuweisungen von 180 bis 470 Milliarden Euro für erneuerbaren Wasserstoff und von 3 bis 18 Milliarden Euro für kohlenstoffarmen Wasserstoff vor.
Zu diesen politischen Initiativen struktureller Art kamen zusätzlich die tiefgreifenden Auswirkungen der Ukraine-Krise auf den Energiesektor mit einem viel engeren Zeitplan hinzu. Die Dringlichkeit für Europa besteht darin, seine Energieabhängigkeit von Russland so schnell wie möglich zu verringern, und zwar sowohl bei Gas als auch bei Öl.
Einige Länder beziehen bis zu 40 Prozent ihres Gases aus Russland. Vor diesem Hintergrund ist klar, dass Wasserstoff zu einer besonders attraktiven Alternative wird und seine Einführung dürfte viel schneller vonstattengehen, als noch im letzten Jahr abzusehen war.
Wie hoch ist der Anteil von Wasserstoff am weltweiten Energiemarkt heute?
Bisher nimmt Wasserstoff nur einen recht marginalen Platz ein. Gemäss den von der Internationalen Energieagentur zusammengestellten Daten belief sich die weltweite Nachfrage nach Wasserstoff im Jahr 2020 auf nur etwa 90 Millionen Tonnen. Diese Menge entspricht gerade einmal zwei Prozent der gesamten Energie, die der Planet in einem Jahr verbraucht.
Wie wird Wasserstoff heute verwendet?
Hauptsächlich in der Chemie, der Ölindustrie und, in geringerem Masse, in der Stahlindustrie. Dies sind seine Hauptabnehmer. Allein in der Chemie werden 50 Millionen Tonnen Wasserstoff zur Herstellung von Ammoniak und Methanol verwendet.
In der Ölindustrie dient es zur Entfernung von Schwefel bei der Raffinierung von Treibstoffen. In der Eisen- und Stahlindustrie dient es aufgrund seiner Fähigkeit, bei sehr hohen Temperaturen zu verbrennen, als Reduktionsmittel bei der Umwandlung von Eisenerz in reinen Stahl.
Wie wird sich der Wasserstoffmarkt Ihrer Meinung nach bis 2050 entwickeln?
In den nächsten zwei bis drei Jahrzehnten wird sich die Nutzung von Wasserstoff umso mehr verbreiten, je mehr Parameter auf seine Einführung einwirken. Wir haben zum Beispiel gesehen, dass Europa den Anteil von Wasserstoff an der Energieproduktion von 2 auf 14 Prozent erhöhen will. Der Hydrogen Council hat in Zusammenarbeit mit McKinsey vor kurzem einen Bericht veröffentlicht, der verschiedene Perspektiven für diesen Sektor aufzeigt. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Wasserstoff ein Fünftel des globalen Energiebedarfs decken könnte, der sich bis 2050 abzeichnet.
Bei diesem Szenario würde Wasserstoff 20 Prozent zur Reduktion der globalen Erwärmung auf 2° Celsius beitragen. Sein Marktvolumen könnte sich 2,5 Billionen US-Dollar nähern, und es könnten fast 30 Millionen Arbeitsplätze geschaffen werden, um seine Entwicklung zu begleiten.
Welche Hindernisse stehen einer breiten Einführung von Wasserstoff heute noch im Wege?
Wasserstoff hat unbestreitbare Qualitäten, aber auch zahlreiche Nachteile. Die Herstellung ist noch immer relativ schwierig, der Vertrieb zumindest komplex und die Kosten für die Einführung daher eher abschreckend. Die Schwierigkeiten bei der Herstellung von Wasserstoff bestehen darin, dass er nicht in der Natur vorkommt und daher aus seiner atomaren Form gewonnen werden muss. Bisher werden 96 Prozent des Wasserstoffs aus fossilen Brennstoffen hergestellt. Das ist der sogenannte graue Wasserstoff. Sein Preis ist ziemlich konkurrenzfähig, aber er hat den Nachteil, dass er während des Produktionsprozesses viel Kohlendioxid freisetzt.
Um ein Kilogramm Wasserstoff auf diese Weise zu gewinnen, muss man zehnmal so viel CO2 freisetzen. Idealerweise sollte grüner Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser oder die Thermolyse von Biomasse mit erneuerbarer Energie als Stromquelle hergestellt werden. Die Herstellung von Wasserstoff ist natürlich teurer, aber mit den steigenden Gaspreisen wird er allmählich konkurrenzfähig.
Der andere grosse Nachteil von Wasserstoff liegt in der Logistik und insbesondere in der Verteilung. Um ihn zu transportieren, muss er zunächst bei sehr niedrigen Temperaturen von -250 °C, nahe dem absoluten Nullpunkt, verflüssigt werden. Das für seinen Transport erforderliche Logistiknetz muss daher sehr anspruchsvollen technischen Vorgaben genügen, was sich stark auf den Selbstkostenpreis auswirkt.
Wo sehen Sie aus der Sicht eines Investors die attraktivsten Möglichkeiten?
Es gibt eindeutig sehr gute Gelegenheiten, aber man muss wissen, wo man hintritt, denn es fehlt nicht an Fallen oder falschen Fährten.
Wenn man das Thema Wasserstoff anspricht, denkt man zwangsläufig an die Bereiche Verkehr, Bauen und Heizen oder auch Industriebrennstoffe. Der Wasserstoffrat sieht bis 2030 10 bis 15 Millionen Autos, die von Wasserstoffmotoren angetrieben werden, auf die Strassen schwappen. Dies sind Prognosen, die zwangsläufig Interesse wecken.
Dennoch scheint es mir, dass die besten Chancen derzeit woanders liegen. Das ergibt sich jedenfalls aus einer eingehenden Analyse der Wertschöpfungsketten. Meiner Meinung nach ist die intelligenteste Art und Weise, heute aus Wasserstoff Kapital zu schlagen, die Positionierung bei Ammoniakherstellern und Industriegasherstellern, die die Lieferkette kontrollieren.
Aus welchen Gründen erscheint Ihnen Ammoniak so interessant?
In gewissem Masse bereitet Ammoniak den Boden für Wasserstoff, der verschiedene Zwischenstufen durchlaufen muss, ehe man seine volle Entwicklung in Betracht ziehen kann. Dasselbe gilt für den Automobilsektor, der zunächst den Übergang zu Hybridfahrzeugen vollziehen muss, bevor er wirklich vollelektrisch werden kann.
Der erste Vorteil von Ammoniak besteht darin, dass es eine grosse Menge an Wasserstoff enthält. Auf ein Stickstoffmolekül kommen im Ammoniak drei Wasserstoffmoleküle. Daher ist Ammoniak ein hervorragendes Mittel, um Wasserstoff über sehr grosse Entfernungen zu transportieren. Nach der Verflüssigung muss er lediglich auf einer Temperatur von -33° Celsius gehalten werden, weit von den -250° Celsius entfernt, die Wasserstoff benötigt.
Zweitens ist Ammoniak ein ausgezeichneter und weit verbreiteter Treibstoff, der ebenfalls den Vorteil hat, dass er bei der Verwendung kein Kohlendioxid freisetzt. Ammoniak wird in zunehmendem Masse als Schiffstreibstoff eingesetzt, um Dieseltreibstoff zu ersetzen.
Dieser Markt ist viermal so gross wie der Markt für Agrarammoniak. Japan hat in diesem Bereich einen gewissen Vorsprung. Im Zusammenhang mit Ammoniak ist noch ein letzter Punkt zu erwähnen.
Die Hersteller und Händler von Ammoniak verfügen heute über Anlagen, die leicht auf die Herstellung und den Vertrieb von Wasserstoff umgerüstet werden können. Die Prozesse sind in der Tat recht ähnlich und die Anpassung kann daher zu geringen Kosten vorgenommen werden.
Wie wichtig ist es für Sie, die Lieferkette zu kontrollieren?
Bei Wasserstoff muss man wissen, wie man ihn lagert und transportiert. Das ist ein grundlegender Punkt. In dieser Logistikkontrolle lässt sich enorm viel Wert schaffen. Unternehmen wie Air Products, Linde, Air Liquide, OCI und CF Industries haben sich in dieser Nische sehr gut positioniert und werden daher eine entscheidende Rolle bei der Energiewende spielen. In Europa kontrolliert Air Liquide beispielsweise 50 Prozent der Wasserstofflieferkette.
Das Unternehmen erwirtschaftet in diesem Sektor bereits zwei Milliarden Euro und wird seine Einnahmen bis 2030 voraussichtlich verdreifachen, da es stark investiert. Die in den USA ansässige CF Industries wiederum verfügt heute über das weltweit grösste integrierte Netzwerk für die Herstellung und den Vertrieb von Ammoniak.
Für sie wird es langfristig sehr einfach sein, ihre laufenden Anlagen so umzurüsten, damit sie für die Herstellung und Verteilung von Wasserstoff geeignet sind. Dies wird in den USA als „retro-fitting“ bezeichnet. Noch sind diese Unternehmen nicht an vorderster Front, aber sie sind bereits ideal positioniert, um einen in den nächsten 20 Jahren immer grösser werdenden Markt zu beherrschen.
Alexander Roose, Head of Equities and co-lead PM der
Strategie DECALIA Sustainable
Über der Strategie DECALIA Sustainable
- ein themenübergreifender, globaler Aktienfonds, der in innovative Sektoren und bahnbrechende Unternehmen investiert, die die Zukunft der GESELLSCHAFT gestalten
- investiert in die 7 Themen (Security, O2 & Ecology, Cloud & Digitalisation, Industrial 5.0, Elder & Well being, Tech Med, Young Generation), die unter dem Akronym SOCIETY zusammengefasst sind
- geleitet von einem erfahrenen Team: Alexander Roose (Ex-CIO des Fundamental Equity von Degroof Petercam AM) & Quirien Lemey (Ex-Lead PM eines multithematischen Fonds bei Degroof Petercam AM)
Über DECALIA SA
Die 2014 gegründete DECALIA SA ist eine Schweizer Vermögensverwaltungsgesellschaft mit mehr als 70 Mitarbeitern und einem verwalteten Vermögen von 4,9 Milliarden Eur. DECALIA ist schnell gewachsen, vor allem dank des erfahrenen und aktiven Managements der Gründer, dass in den letzten 30 Jahren aufgebaut wurde.
Die von DECALIA entwickelten Strategien konzentrieren sich auf vier langfristig aussichtsreiche Anlagethemen: die Disintermediation des Bankensektors, die Suche nach Rendite, langfristige Trends und Marktineffizienzen. DECALIA wird von der FINMA reguliert. Neben dem Hauptsitz in Genf unterhält die Gruppe Niederlassungen in Zürich und Mailand, sowie Vertriebsstellen für den DECALIA SICAV in Spanien und Deutschland.