Trendwende: Das Versprechen von Medikamenten gegen Fettleibigkeit

Interview mit Roberto Magnatantini, CFA, Senior Portfolio Manager und Iana Perova, Aktienanalystin

  • Nicht nur die künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde! Eine neue Kategorie von Medikamenten gegen Fettleibigkeit steht ebenfalls im Rampenlicht, seit Elon Musk offen zugegeben hat, Wegovy von Novo Nordisk zum Abnehmen zu verwenden.
  • Dass Elon Musk streng genommen nicht als fettleibig gilt und dass er das Medikament ohne Rezept einnimmt, spielt offensichtlich keine Rolle.
  • Die Wahrheit ist, dass solche „Wundermittel“ versprechen, die Pandemie der Fettleibigkeit, die unsere Gesellschaft so sehr belastet, und die damit verbundenen Komorbiditäten in den Griff zu bekommen.

Wir stellen unsere neue Serie „Gesundheit und Wohlbefinden“ vor, in der wir die interessantesten Gesundheitstrends beleuchten und Ihnen Einblicke in die neuesten und beeindruckendsten Entwicklungen im Bereich des Wohlbefindens geben. Schnappen Sie sich also Ihr Strandtuch und machen Sie sich bereit für einen Ausflug in die Welt des Wohlbefindens. Diese erste Ausgabe konzentriert sich auf den Markt für Medikamente gegen Fettleibigkeit und seine neuesten, vielversprechenden Lösungen.

Nicht nur die künstliche Intelligenz ist derzeit in aller Munde! Eine neue Kategorie von Medikamenten gegen Fettleibigkeit steht ebenfalls im Rampenlicht, seit Elon Musk offen zugegeben hat, Wegovy von Novo NordiskÒ zum Abnehmen zu verwenden. Dass Elon Musk streng genommen nicht als fettleibig gilt und dass er das Medikament ohne Rezept einnimmt, spielt offensichtlich keine Rolle. Die Wahrheit ist, dass solche „Wundermittel“ versprechen, die Pandemie der Fettleibigkeit, die unsere Gesellschaft so sehr belastet, und die damit verbundenen Komorbiditäten in den Griff zu bekommen.

Iana und Roberto, könnten Sie zunächst einige Fakten und Zahlen zur Pandemie der Fettleibigkeit nennen? Betrifft das Problem wirklich hauptsächlich die USA?

In den USA werden 40 % der über 15-Jährigen als fettleibig eingestuft, d. h., dass ihr Body Mass Index (BMI1) über 30 liegt. Das Land steht damit bei der Pandemie der Fettleibigkeit eindeutig an der Spitze. Doch die nachstehende Grafik zeigt, dass das Problem inzwischen sehr global ist: In mehr als einem Dutzend anderer Länder liegt die Fettleibigkeitsrate bei über 20 %.

1BMI = Körpergewicht (in Kilogramm) dividiert durch die Körpergröße (in Metern) zum Quadrat

Fettleibigkeitsraten in % Gesamten Erwachsenen Bevölkerung (>15 Jahre), 2016 oder letztes Jahr

Hinweis: * bedeutet, dass in diesen Ländern selbst gemeldete Daten über Größe und Gewicht verwendet werden, während man in anderen Ländern gemessene Daten verwendet.

Quelle: OECD (2018), OECD Gesundheitsstatistiken 2018

Was hat zu einer derartigen Zunahme der Fettleibigkeitsraten geführt? Ist es auch richtig, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Fettleibigkeit ändert und sie nicht mehr nur auf einen Mangel an persönlicher Disziplin zurückgeführt wird?

Der Anstieg der Fettleibigkeitsraten ist auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen. Physiologisch gesehen ist das menschliche Gehirn so verdrahtet, dass es gerne isst, vor allem Süßes, was in einer Welt, in der ständig Nahrung zur Verfügung steht, problematisch wird. Es hat sich gezeigt, dass der weit verbreitete Konsum von verarbeiteten Lebensmitteln und Fertiggerichten selbst bei gleicher Kalorienzufuhr zu einer Gewichtszunahme beiträgt, was gesunde Ernährung zu einer größeren Herausforderung macht.

In der Tat entwickelt sich die Wahrnehmung von Fettleibigkeit weiter: Inzwischen ist man sich darüber im Klaren, dass sie nicht nur das Ergebnis mangelnder persönlicher Disziplin ist, sondern dass auch die komplexe Natur dieser Krankheit berücksichtigt werden muss. Zwar sind eine geringere Kalorienzufuhr und mehr Bewegung der Schlüssel zur Gewichtsabnahme, doch vor allem für Menschen, die schon lange an Fettleibigkeit leiden, mitunter schon seit ihrer Kindheit, ist langfristiger Erfolg schwierig zu erreichen. In diesem Sinne wird ein weniger stigmatisierender Ansatz gegenüber Fettleibigkeit verfolgt, der zu einem gesünderen Lebensstil ohne Schuldgefühle ermutigt.

Kommen wir nun zu möglichen medizinischen Lösungen: Was befindet sich in der Pipeline?

Eine der Hauptfolgen von Fettleibigkeit ist, dass sie häufig zu Diabetes führt. Auf der Plattform diabetes.co.uk heißt es beispielsweise: „Es wird angenommen, dass Fettleibigkeit für 80-85 % des Risikos, an Typ-2-Diabetes zu erkranken, verantwortlich ist“.

GewichtsabnahmegegenüberdemAusgangswert (placebokorr.)

Quelle: Jefferies Research, DB Research

Im Gegensatz zur Typ-1-Diabetes, die genetisch bedingt ist und sich von Geburt an entwickelt, hat Typ-2-Diabetes in der Tat mehr mit dem Lebensstil zu tun – wie auch allgemein mit der Bevölkerungsalterung –, weshalb sie auch als Komorbidität von Fettleibigkeit gilt.

Empirisch wurde beobachtet, dass Patienten mit Typ-2-Diabetes, die GLP-1-Medikamente einnehmen, eine Medikamentenklasse, die auf Stoffwechselhormone abzielt, zu einer beträchtlichen Gewichtsabnahme neigen. In einigen Fällen reicht sie sogar an das heran, was durch viel invasivere chirurgische „Lösungen“, auch bekannt als bariatrische Operationen, erreicht werden kann. Das liegt daran, dass GLP-1-Medikamente die Verdauung verlangsamen und den Appetit dämpfen.

Diese Vorteile bei der Gewichtsabnahme und die relativ geringen Nebenwirkungen (gemäß den seit etwa zehn Jahren vorliegenden Daten) haben dazu geführt, dass diese Medikamente von Ärzten bereits seit einigen Jahren zur Behandlung von Fettleibigkeit eingesetzt werden, ohne dass sie dafür zugelassen sind. Die „zugelassene“ Verwendung ist seit 2021 möglich, als Novo Nordisk eine solche FDA-Zulassung für sein Medikament WegovyÒ erhielt.

Wie groß ist der potenzielle Markt für die Pharmakotherapie gegen Fettleibigkeit?

In einem Extremszenario, in dem die 100 Millionen fettleibigen Amerikaner mit GLP-1-Medikamenten für 10.000 USD pro Jahr behandelt werden, würde sich der potenzielle jährliche Markt auf 1 Billion USD belaufen – allein in den USA! Dies ist natürlich ein provokantes und unrealistisches Szenario, aber es zeigt das ungenutzte Potenzial einer solchen Lösung.

Realistischerweise wird die Gelegenheit in Verbindung mit Fettleibigkeit in den USA bis zum Jahr 2030 mit 50 Mrd. USD und außerhalb der USA mit einem ähnlichen Betrag veranschlagt. Rechnet man Diabetes hinzu, so ergibt sich eine Gesamtsumme von ca. 150 Mrd. USD, was in etwa den derzeitigen Einnahmen in Verbindung mit der Onkologie entspricht.

Natürlich ist die Freisetzung dieses Potenzials nicht nur eine Frage der medizinischen Notwendigkeit und der Lösung.

Voraussetzung ist auch, dass die Ärzte bereit sind, fettleibigen Patienten ohne Typ-2-Diabetes-Komorbiditäten die Medikamente zu verschreiben, und dass die Versicherungen/Staatskrankenkassen bereit sind, die Kosten dafür zu übernehmen.

Die Akzeptanz bei den Ärzten scheint sich bereits auf gutem Weg zu befinden und dürfte unter dem Einfluss der anhaltenden pharmazeutischen Lobbyarbeit, die Fettleibigkeit als „Krankheit“ zu betrachten, nur noch weiter zunehmen.

Dies ist notwendig, um die Kostenübernahme durch die Krankenkassen zu ermöglichen, die derzeit das Haupthindernis für die Einführung von Pharmakotherapien gegen Fettleibigkeit auf breiter Ebene darstellt.

Es ist ein Tauziehen zwischen der Industrie (die die Akzeptanz erhöhen will) und den Versicherern (die die Kosten eindämmen wollen) im Gange. Um den Druck auf die Kostenträger zu erhöhen, untersucht Novo Nordisk derzeit, ob bei Patienten, die Wegovy einnehmen,Ò das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse geringer ist (SELECT2-Studie).

Ein positives Ergebnis würde das Kosten-Nutzen-Verhältnis der GLP-1-Behandlung von fettleibigen Patienten verbessern. Solche Studien sind wichtig, um das Potenzial für Kosteneinsparungen in den Gesundheitssystemen aufzuzeigen, da Fettleibigkeit derzeit allein für das US-Gesundheitssystem eine jährliche Belastung von fast 173 Mrd. USD darstellt3.

Die Übernahme durch Medicare, die staatliche Versicherung für ältere Menschen, ist jedoch nicht vor 2025-2026 zu erwarten – private Krankenversicherungen werden wahrscheinlich folgen. Das nachstehende Diagramm zeigt, wie stark die Annahmekurve von Medikamenten gegen Fettleibigkeit von Medicare abhängt. Wenn die Kostenübernahme ab 2025-2026 tatsächlich erfolgt, dürfte die Zahl der behandelten Patienten sprunghaft ansteigen.

2 Semaglutide Effects on Heart Disease and Stroke in Patients With Overweight or Obesity
3 Quelle: cdc.gov (Centers for Disease Control and Prevention)

Erwartungen der Patienten an einepharmakotherapeutischeBehandlung von Fettleibigkeit

Quelle: BofA Global Research

Sie haben bereits Novo Nordisk erwähnt – welche Unternehmen sind in diesem Bereich noch tätig?

Novo Nordisk ist eindeutig der erste Anbieter auf dem Markt für Medikamente gegen Fettleibigkeit und zudem ein Pure Player. Das Unternehmen baut ein sehr wettbewerbsfähiges Portfolio auf, das bereits zwei GLP-1-Medikamente umfasst: SaxendaÒ (5-10 % Gewichtsverlust) und das bereits erwähnte Wegovy (15-20 % Gewichtsverlust). Es entwickelt derzeit ein neues und noch wirksameres Präparat, CagrisemaÒ, das einen Gewichtsverlust von mehr als 20 % anstrebt – das entspricht einer bariatrischen Operation.

Die Rolle des Herausforderers übernimmt Eli Lilly, mit einem wesentlich breiter gefächerten therapeutischen Profil. Im Bereich Diabetes, der die Hälfte des Gesamtumsatzes des Unternehmens ausmacht, wurde das Medikament MounjaroÒ im Jahr 2022 von der FDA für Typ-2-Diabetes zugelassen und dürfte bis Ende dieses Jahres seine Zulassung gegen Fettleibigkeit erhalten. In den Versuchen führte MounjaroÒ je nach Dosierung im Vergleich zu WegovyÒ zu einer ähnlichen oder größeren Gewichtsabnahme, was es zu einem ernsthaften Wettbewerber macht.

Erwähnenswert ist auch Zealand Pharma, ein kleines dänisches Biotechnologieunternehmen, das sich wie Novo Nordisk auf peptidbasierte Arzneimittel gegen Stoffwechselerkrankungen konzentriert. Darüber hinaus dürfen wir CMO- und CDMO-Unternehmen wie Swiss Bachem nicht vergessen, die diese Peptidkomponenten her stellen.

Globaler Nettoumsatz: Markenmedikamente gegen Fettleibigkeit

Quelle: Unternehmenseinreichungen, Konsensschätzungen (MODL<GO>), Bloomberg Intelligence

Eine weitere Gelegenheit bietet sich bei den Herstellern von Lösungen zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM), wie DexCom, Abbott und Insulet.

Diese Lösungen liefern den Patienten ständig aktuelle Informationen über ihren Blutzuckerspiegel, der so in einem normalen Bereich gehalten werden kann. Dies unterscheidet sich deutlich von der herkömmlichen Blutzuckermessung mit Messstreifen und Blutzuckermessgeräten, bei der sich die Patienten bis zu 15 Mal pro Tag in den Finger stechen müssen.

Angesichts der oben erwähnten potenziellen Größe des Marktes im Zusammenhang mit Fettleibigkeit wäre es jedoch überraschend, wenn in den kommenden Jahren nicht noch mehr Unternehmen auf den Plan treten würden.

Könnten Sie abschließend noch etwas zu den Risiken sagen, die mit der Vorhersage einer so vielversprechenden Zukunft für Therapien gegen Fettleibigkeit und die Unternehmen, die sie entwickeln, verbunden sind?

An erster Stelle stehen, wie immer in der pharmazeutischen Industrie, die Risiken einer Nicht-Zulassung und/oder des Auftretens schwerwiegender negativer Nebenwirkungen.

Insbesondere bei den GLP1-Medikamenten kommt hinzu, dass die Gewichtsabnahme in den meisten Fällen wieder rückgängig gemacht wird, sobald die Patienten die Behandlung beenden, was bedeutet, dass eine lebenslange Verschreibung erforderlich ist.

Wachstum des globalen GLP-1-Markts

Auch die Preisgestaltung stellt ein potenzielles Risiko dar, da die Gewinnspannen für GLP-1-Medikamente derzeit sehr hoch sind (da sie aus Peptiden bestehen, die relativ leicht herzustellen sind).

Abwärtsdruck auf den Preis könnte von den Kostenträgern oder von neuen Marktteilnehmern ausgehen, ähnlich wie es bei Insulin der Fall war, das inzwischen zu einem Massenprodukt geworden ist.

Ein weiteres Risiko ist die Bewertung, da diese Aktien angesichts des derzeitigen Markthypes um Medikamente gegen Fettleibigkeit derzeit mit hohen Multiplikatoren gehandelt werden. Wir halten dies jedoch eher für ein kurzfristiges Risiko. Längerfristig gesehen erscheinen uns die Konsenserwartungen hinsichtlich der potenziellen Marktgröße relativ konservativ, vor allem weil viele Investoren immer noch davon ausgehen, dass die Erstattungen in Zukunft begrenzt sein werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Zukunft des Kampfes gegen die Fettleibigkeit dank der kontinuierlichen Fortschritte in der medizinischen Forschung vielversprechend aussieht und dem Einzelnen den Weg zu einer gesünderen Lebensweise und unseren Gesundheitssystemen den Weg zur Kostendämpfung ebnet.


Roberto Magnatantini, CFA, Senior Portfolio Manager

Iana Perova, Aktienanalystin

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